Die ELBENSCHULE 
Verbundenheit leben

GESCHICHTEN UNTERM SEELENBAUM


Die Geschichte von der Frau und ihrem Zweifel

Es war ein trüber Tag. Die Wolken hingen tief. Grau. Fast flächig. Jeden Moment hätte es regnen können. Die Frau saß am Fenster und schaute hinaus in die graue Landschaft. Sie hatte so viele Fragen. Seit ewigen Zeiten beschäftigte sie sich mit ihnen. „Ach, was kann ich denn schon? Ach, weshalb nur gelingt mir dies immer noch nicht? Ach, wieso haben alle anderen viel mehr Glück als ich? Ich sitze hier und starre Löcher in die Luft. Blicke auf graue Wolken und kann die Trübheit fast genießen.“ Beim aussprechen dieser Worten wusste sie. Es wird Zeit. Zeit, diese Zweifelsfragen endlich so anzusehen, dass sie Form bekamen. Und in einem Augenblick war sie bereit. Sie war bereit, dem Zweifel Füße zu geben. Beine. Einen Rumpf. Arme und Hände. Einen Hals und einen Kopf. Mit einem Mal erkannte sie ihn. Gleichzeitig erkannte der Zweifel auch sich selbst. Er blickte zur Frau und sah. „Ah, da gibt es noch Gewänder von mir.“ Der Zweifel begann zu packen. Er nahm all sein Gewand. Seine grau karierten Hemden. Seine schwarzen dunkelbraunen Hosen. Schwarze Schuhe. Schwarze Socken. Gestreiftes und Gemustertes und nahm es aus den Schränken der Frau. Sie hatte viele Schränke. Vollgestopft mit den Kleidern und Gewändern des Zweifels. Ja sogar Kopfbedeckungen. Brillen. Schmuck. Anhängsel. Viele Accessoires fanden sich in der Schrankvielfalt. Doch der Zweifel hatte verstanden. Der Tag war gekommen, nicht weiterzuziehen. Sondern ganz nach Hause zu gehen. In seine Anfänge. In die Zeit, die so weit zurück lag und gar nicht mehr passend war für das Hier und Jetzt und Heute dieser Frau. Nein. Eine Zeit, die weit zurück lag und darin endlich eine Möglichkeit bestand, ins Licht der Heimat zurück zu kehren. Und so zog der Zweifel alles an sich. Ein Gewand übers andere. In seinen Hut füllte er all die Kleinigkeiten und Dinge, die sich angesammelt hatten. In den Ecken und Nischen der Schränke und Kommoden. Er war soweit. Da stand er nun. Schicht um Schicht. Überhäuft und vollbepackt. Herr Selbstzweifel. Es war ein außergewöhnlicher Moment, als die beiden sich gegenüberstanden. Sich ansehen konnten. Fast ein bisschen wehmütig. Doch gleichzeitig eine tiefe Freude. Erleichterung. Zuversicht. Eine Freude darüber, das Leben könnte nun beginnen. Für beide. Interessanter weise. Denn auch der Zweifel wusste und erkannte im Blick auf die Frau, dass es längst überfällig war sich aufzumachen. Dorthin zu gehen, wo sein Anfang beheimatet war. 

Zum Schluss gab ihm die Frau noch ein Täschchen mit. Es war ein rosarotes Täschchen. Darauf stand: Ich danke dir. Ich danke dir. Ich danke dir. Der Zweifel war berührt. Die Frau auch. Und so kam der Augenblick des Loslassens. Des Aufbruchs. Er war unspektakulär. Doch wesentlich. Der Zweifel nahm das rosarote Täschchen. Hing es sich ums Handgelenk. Drehte sich um und ging. Erst langsam. Doch mit der Zeit wurden seine Schritte beschwingter. Er stellte die Füße auf den Boden. Rollte die Füße gar ab. So hatte er es noch nie gemacht. Dem Zweifel war klar: "Je weiter ich nun weggehe, desto näher komme ich dorthin, wo mein eigentlicher Platz ist." 

Die Frau blickte ihm nach. Eine ganze Weile. So lange, bis er immer kleiner wurde. Seine Erscheinung immer weniger. Bis seine Schritte irgendwann zu einer Linie wurden. Ein Pfad, an dem entlang sich ein Punkt bewegte. Einer, der alles mit sich nahm. Schneller wurde. Die Zeit hielt an. Sie löste sich vollständig auf. In diesem Augenblick atmete die Frau einen neuen Atemzug. „Hhhhhmmmhhh….. Haaaahhhhhhah…..“ Etwas in ihr hatte sich vollkommen verändert. Sie blickte um sich. Mehr Raum. Leere Schränke. Überhaupt waren das Schränke, die ihr gar nicht gefielen. Sie begann genauer hinzusehen. „Ah. Ein Schrank meiner Großmutter. Oh. Dieses Kästchen. Von wem habe ich das nochmal geschenkt bekommen? Diese Kommode hätte ich besser nicht gekauft.“ So forstete sie durch ihre eigene Schranklandschaft. Ein Kästchen. Ein Schränkchen. Eine Kommode nach der anderen wurde von ihr hinaus getragen. Direkt vor die Türe. Dort, wo sie wusste, dass jemand kommen würde um diese Schränke mitzunehmen. Zum Wertstoffhof. Sie zu zerkleinern. Vielleicht am Ende einem Feuer der Transformation zu übergeben.

So blickte sie hinaus. Um sich herum. Fühlte in sich hinein. Sie war um so vieles leichter geworden. Sie blickte in den Himmel. Tatsächlich. Die Wolkendecke verzog sich. Nebenan wurde ein Staubsauger laut. Blauer Himmel spitzelte zwischen den Wolken hindurch.

Wind wehte. Er nahm alles mit.